Heike Schweitzer – in memoriam

Heike Schweitzer – in memoriam

In den Morgenstunden des 11. Juni 2024 ist Heike Schweitzer viel zu früh im Alter von nur 56 Jahren gestorben. Es ist ein Schock für die deutsche und europäische Kartellrechts-Community. Justus Haucap erinnert an eine bedeutende Kollegin und gute Freundin.

Heike Schweitzer war so etwas wie die deutsche Stimme im europäischen Kartellrecht. Mit ihrem Tod haben wir eine Denkerin von großem Intellekt und für viele eine Freundin verloren. Heike wird uns sehr fehlen. Werner Mussler schreibt heute in der FAZ, dass Heike wohl die führende Kartelljuristin ihrer Generation war und eine einflussreiche Politikberaterin. Dem dürfte kaum jemand widersprechen, denn Heike hatte in der Tat enormen Einfluss auf die Weiterentwicklung des Kartellrechts in Deutschland und der EU und durch die Strahlkraft des europäischen Wettbewerbsrechts letztlich auch weltweit.

Heike Schweitzer als Sachverständige im Deutschen Bundestag (14.6.2023), Screenshot www.bundestag.de

Heike kam aus der Schule des ebenfalls kürzlich verstorbenen Ernst-Joachim Mestmäcker, und sie sah sich stets auch in der Tradition von Franz Böhm. Dessen Bemerkung, dass der Wettbewerb das großartigste und genialste Entmachtungsinstrument sei, war eines ihrer Lieblingszitate. Wie Franz Böhm war Heike nicht nur gegenüber privaten Machtballungen kritisch, sondern ebenso gegenüber staatlicher Macht – eine Position, die mir selbst zutiefst sympathisch ist. In ihrer 2020 gehaltenen Franz-Böhm-Vorlesung etwa befasste sich Heike mit den Besonderheiten der privaten Macht im digitalen Zeitalter und verglich diese mit den bislang im Vordergrund stehenden Machtlagen. Darauf aufbauend entwickelte sie die These, dass sich aufgrund dieser Besonderheiten der Mechanismus dezentraler Koordination selbst verändere. Dies habe wiederum zur Folge, dass sich eine Marktorganisation mit neuen Regeln entwickle. Gleichwohl war Heike auch gegenüber dem Digital Markets Act (DMA) kritisch, der ihr an einigen Stellen zu weit ging. Wie private Macht praktisch eingehegt werden kann, ohne staatliche Macht ausufern zu lassen, war ein fortwährendes Thema der vielen Diskussionen, die ich mit ihr führen durfte.

Heike hat in Freiburg Jura studiert (mit einem Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes). Nach dem ersten (1994) und zweiten (1996) Staatsexamen war sie bis 2006 zunächst als Doktorandin (Promotion 2001) und dann als Postdoktorandin in Hamburg am Max-Planck-Institut bei Ernst-Joachim Mestmäcker tätig, mit dem sie ja auch ab 2004 das Lehrbuch zum Europäischen Wettbewerbsrecht verfasste. 2006 wechselte sie als Professorin an das European University Institute in Florenz, von wo sie 2010 an die Universität Mannheim wechselte. Irgendwann in ihrer Mannheimer Zeit müssen wir uns auch persönlich kennengelernt haben. Als wir jedenfalls versuchten, Heike im Jahr 2013 an die Heinrich-Heine-Universität zu locken, waren wir bereits per Du. Leider zeichnete sich parallel ab, dass sie auch einen Ruf auf Nachfolge von Franz-Jürgen Säcker an der FU Berlin bekommen sollte – sie hat uns in Düsseldorf dann leider abgesagt, drückte aber zugleich ihr großes Bedauern aus, dass wir jetzt nicht intensiver zusammenarbeiten könnten.

Heike Schweitzer bei der Professorentagung des Bundeskartellamts 2023 mit Linsey McCallum, Konrad Ost, Silke Hossenfelder und Roman Inderst (vlnr).

Letzteres konnten wir dann zum Glück heilen, denn Anfang 2014 wurde Heike in den Kronberger Kreis, den wissenschaftlichen Beirat der Stiftung Marktwirtschaft, aufgenommen, 2019 beriefen wir sie in den Beirat unseres DICE (Düsseldorf Institute for Competition Economics). Im Kronberger Kreis haben wir sofort sehr intensiv gemeinsam an der Studie „Neustart in der Energiepolitik jetzt!“ gearbeitet, für welche ich die federführende Verantwortung hatte. Weitere Studien, bei denen ich intensiv mit Heike zusammenarbeiten durften betrafen die Bankenunion, Diskriminierungsverbote in der digitalen Welt – Heike hatte sich zwischenzeitlich intensiv mit dem Thema Netzneutralität beschäftigt –, Green Deal und Wettbewerb, die Krankenhausversorgung sowie zuletzt die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auf der März-Sitzung des Kronberger Kreises haben wir noch auf ihre 10-jährige Mitgliedschaft angestoßen und überlegt, ob nicht das Thema Landwirtschaft interessant für eine zukünftige Studie sein könnte. Ich bin untröstlich, dass wir diese nun ohne Heikes scharfsinnigen Intellekt erstellen müssen.

Ich hatte auch das intellektuelle und persönliche Vergnügen an vielen kleinen Projekten mit Heike zusammenzuarbeiten, sei es im Hinblick auf Überlegungen zur Reform des Kartellschadensersatzes, die wir auf der inoffiziellen Verabschiedung von Peter Meier-Beck beim Bundesgerichtshof präsentieren durften (unsere beiden darauf resultierenden Aufsätze wurden später in der ZWeR abgedruckt) oder bei kleinen Aufsatzprojekten. Einen gewissen Einfluss hat sicher unsere Studie im Vorfeld der 10. GWB-Novelle gehabt, als wir uns im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums gemeinsam mit Wolfgang Kerber (Marburg) und Heikes damaligem Doktoranden Robert Welker Gedanken zur Einhegung der Macht von digitalen Plattformen machen durften.

Die Special Advisers Jacques Crémer, Heike Schweitzer und Yves-Alexandre de Montjoye mit Margrethe Vestager (Foto: EU-Kommission)

Ganz allgemein hat Heike immer sehr gern mit Ökonomen in der wirtschaftspolitischen Beratung zusammengearbeitet. Sehr einflussreich war ihre Rolle als Sonderberaterin (1. April 2018 – 31. März 2019) der EU-Kommissarin Vestager für Digitalisierung und Wettbewerbspolitik (siehe “Competition policy for the digital era”) sowie als Co-Vorsitzende (mit Martin Schallbruch und Achim Wambach) der vom Wirtschaftsministerium eingesetzten Expertenkommission „Wettbewerbsrecht 4.0“ (Sept. 2018 – Sept. 2019). Auch mit anderen Ökonomen wie Wolfgang Kerber, Knut Blind und Martin Peitz hat Heike immer wieder eng zusammengearbeitet – dieses Ausmaß an Interdisziplinarität und der Austausch der Disziplinen ist viel zu selten zu finden. Auch deswegen wird Heike fehlen.

Übergabe des Gutachtens zur Vorbereitung der 10. GWB-Novelle mit Justus Haucap, Robert Welker und Wolfgang Kerber an Wirtschaftsminister Peter Altmeier 2018

Was sie für die Entwicklung des europäischen Kartellrechts bedeutete, kann ich als Ökonom kaum angemessen würdigen, aber Pablo Ibáñez Colomo hat dies für Chillin Competition schön zusammengefasst. Was Heike für den wissenschaftlichen Nachwuchs bedeutete, hat wiederum ihre ehemaliger Doktorand Kai Woeste in einem LinkedIn-Beitrag in bewegenden Worten niedergeschrieben. Für die deutsche und europäische Kartellrechts-Community wie auch für uns Wettbewerbsökonomen ist Heikes Tod schwer zu verkraften, sie war im Grunde unersetzlich. Persönlich habe ich eine gute Freundin verloren. Du fehlst. RIP, liebe Heike.

Prof. Dr. Justus Haucap ist Direktor des DICE an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Das Beitragsfoto wurde freundlicherweise von der Stiftung Marktwirtschaft bereitgestellt. Fotograf: Dirk Hasskarl.

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